Weihnachtliches Stimmungsbild
Mein Leben, Meine Auszeit

(Zu) weiße Weihnacht’ – BADER Weihnachtsgeschichte Teil 1

„Es hört nicht auf zu schneien!“ – „Was machen wir denn jetzt? … ich meine, wenn wir nicht mehr rauskommen?“

Ilse unterdrückte ein Schluchzen, vergrub aber trotzdem ihr Gesicht in den Händen. Marianne versuchte sie zu beruhigen. „Na, na, wird schon“ und legte ihr den Arm um die Schultern. Rita sagte nichts und schaute nur fasziniert und angstvoll zugleich aus dem Fenster – draußen nichts als Weißheit, Flockengestöber, keine Sicht … kurz vor Weihnachten waren sie hier, auf dieser einsam gelegenen Hütte in den Bergen, wohl wirklich eingeschneit. „Tja, jetzt sitzen wir hier fest“, meinte Rita. Sie wollte souverän wirken, aber auch ihr stand die Angst ins Gesicht geschrieben.

„O Gott, o Gott!“, jammerte Ilse wieder, „was machen wir denn jetzt? Wir wollen doch nach Hause … und Weihnachten feiern … und …“

„Jetzt beruhigt euch doch erstmal!“, ermahnte Marianne sie.

„Klar, beruhigen“, brummte Rita, „leicht gesagt. Das war doch alles deine Idee hier!“

„Stimmt!“, pflichtete Ilse ihr bei. „Das war deine Idee, Marianne! … Eine ganz, ganz schlechte Idee …“, jammerte sie weiter.

Marianne versuchte die Fassung zu bewahren und blickte, ohne etwas zu erwidern, wieder hinaus in das Flockengestöber. Es stimmte, der Ausflug in die Berge kurz vor Weihnachten war ihre Idee gewesen. Sie hatte es sich so schön vorgestellt: Sie, Rita und Ilse hatten beschlossen, dass sie dieses Jahr keine Lust hatten auf den Trubel vor Weihnachten, die ewige Rennerei, um für alle Geschenke zu besorgen, die Essen zu planen, Weihnachtskarten zu verschicken … deshalb hatten sie – erst im Scherz, aber schließlich immer konkreter – begonnen zu planen, wie man dem ganzen Stress entfliehen konnte. Ein verlängertes Wochenende in den Bergen sollte es sein. Sie hatten eine urgemütliche Hütte fernab von allem gefunden, die trotzdem mit dem Auto zu erreichen war, und die richtige Größe für sie hatte. Um die Enkelkinder nicht zu traurig zu machen, hatten sich die drei Freundinnen schließlich vor ihren Familien bereiterklärt, an Heiligabend wiederzukommen. Die Geschenke sollten ihre Ehemänner besorgen, um Getränke und Essen sollten sich die Kinder kümmern.

Soweit hatte der Plan perfekt funktioniert. Und als sie am 21. Dezember die Hütte bezogen, hatte die Sonne vom wolkenlosen Himmel gestrahlt. Sie hatten das Auto ausgeräumt, einen Prosecco zusammen getrunken und eine schöne Wanderung unternommen. Sicher, Handyempfang gab es hier oben nicht, aber wen störte das? Am Abend hatten sie Feuer im offenen Kamin gemacht, den Wohnraum der Hütte weihnachtlich geschmückt, gekocht und lange zusammengesessen.

In der Nacht war dann der Schnee gekommen und es hatte seitdem nicht mehr aufgehört. Unablässig schneite es. inzwischen seit 2 ½ Tagen …

Auch jetzt tanzten und taumelten die weißen Flocken unaufhörlich vor dem Fenster zur Erde und die Stimmung wurde zunehmend verzweifelt.

„Und wenn wir das Auto freischaufeln und einfach versuchen, ins Tal zu kommen?“, fragte Rita jetzt.

„Bist Du verrückt geworden?“, entgegnete Marianne schroff. „Wie willst Du denn bei der Sicht draußen irgendetwas erkennen, geschweige denn die Straße finden, die runterführt?“

„Und bald wird es doch schon dunkel!“, gab Ilse kläglich dazu.

„Ich denke, wir können nichts anderes tun, als hier auszuharren und zu warten, dass es anfängt zu tauen oder zumindest aufhört zu schneien.“ Marianne bemühte sich jetzt wieder, ruhig zu bleiben.

Aber Rita war beleidigt. In ihr brodelte es. „Aber wir müssen doch irgendetwas tun. Wir können nicht einfach hier hocken bleiben. Unsere Familien … wir wollen doch nach Hause und Weihnachten feiern …“,  murmelte sie halblaut. Sie drückte ihre Stirn gegen die Fensterscheibe neben dem Esstisch und hörte gar nicht, wie die anderen beiden aufstanden.

„Ilseken, hol doch mal dein Handy“, sagte Marianne gerade. Sie wusste, dass Rita keines hatte. „Lass uns doch mal schauen, ob wir hier nicht doch Empfang haben.“ Ilse und sie verließen den Raum und gingen, in die Kammer, in der sie beide schliefen. Ritas Zimmer war einen Raum weiter den Flur hinunter.

Rita stand auf und schlich sich zur Ausgangstür. Dort schlüpfte sie in ihre Schneestiefel und band sich ihren Schal um.

„Nein, keinen Empfang!“, hörte sie Ilses Stimme. „Nur Notrufe, steht hier. Was machen wir denn jetzt?“

Rita setzte sich die Mütze auf und griff zu ihrer Jacke.

„Immer mit der Ruhe jetzt“, hörte sie Marianne. „Ein Notfall ist es ja nun jetzt noch nicht. Es wäre ja nur gut, wenn wir unsere Leute informieren könnten. Einfach um zu sagen, dass alles in Ordnung ist und sie sich keine Sorgen machen müssen, wenn sie den Wetterbericht von hier lesen …“

Rita steckte gerade eine Taschenlampe und einen kleinen Kompass ein, den ihr Enkel ihr unbedingt hatte mitgeben wollen. Er hatte ihn in einem Survival-Paket für Kinder zum Geburtstag bekommen. Sie öffnete die Tür. Große, weiße Flocken stöberten herein. Augenblicklich fror sie.

„Vielleicht ist es drüben im Wohnraum besser mit dem Empfang“, schlug Marianne gerade vor. „Komm, wir nehmen die Handys mit!“

,Jetzt oder nieʻ, sagte sich Rita. Mit einem Ruck zog sie den Reißverschluss ihrer Jacke zu. Bevor  sie die Tür hinter sich zuschlug, rief sie aus irgendeinem Grund laut: „Ich gehe jetzt los! Macht euch keine Sorgen!“ – Dann war sie draußen. Der Wind war schneidend kalt, die Schneeflocken peitschten ihr ins Gesicht. Aber sie hatte einen Entschluss gefasst. Mit zusammengekniffenen Augen lehnte sie sich gegen den Sturm und stapfte los durch den fast kniehohen Schnee. Immer Richtung Norden hatte sie beschlossen, da würde es ins Tal gehen und damit in den nächsten Ort. Sie sah auf die Kompassnadel und ging ein paar vorsichtige Schritte. Die Richtung stimmte, also los …

Fortsetzung folgt am 18.12.2023…