Noch ein Anrufer, dann ist es geschafft, dachte Max…
BADER Weihnachtsgeschichte Teil 1
Noch ein Anrufer, dann ist es geschafft, dachte Max. Noch ein Klick, eine kurze Bestellung und dann hätte er es geschafft, er hätte den Heiligabend wunderbar herumgebracht, mit viel Arbeit, wenig Pausen und Kontakt nur zu den Menschen, die bei ihm, also der Firma, für die er arbeitete, telefonische Bestellungen aufgaben. Kein idiotischer Weihnachtsschmalz, keine Mutter, die ihm auf die Nerven ging, kein Vater, der zu allem nur schwieg. Nichts außer seiner Arbeit und danach Ruhe und Frieden in einem stillen Zuhause! Alles war bisher also ganz genauso gelaufen wie Max es sich für heute vorgestellt hatte, er klickte mit dem Zeiger der Computermaus auf die blaue Schaltfläche, auf der „Gespräch annehmen“ stand, meldete sich mit dem Namen der Firma und sagte wie immer am Ende seiner Begrüßung „… mein Name ist Max Hoffmann, Ihre Bestellung bitte?“. Zunächst passierte gar nichts. Dann hörte Max eine schwache Stimme, rau und leise, wie aus weiter Ferne: „Ha-hallo?“, fragte die Stimme.
„Ja, guten Abend!“, sagte Max in seiner lauten und professionell freundlichen Telefonstimme, die er an schlechten Tagen verabscheute. „Ihre Bestellung, bitte!“
„Bestellung?“, fragte die Stimme leise und unsicher und so, als würde sie das Wort erst einmal ausprobieren müssen. Es war die Stimme einer alten Frau.
Max, dem der Umgang mit älteren Damen bei seiner Arbeit durchaus nicht fremd war, versuchte zu erklären. „Ja, genau, bestellen. Wissen Sie, das hier ist die BESTELL-Hotline. Hier können Sie, wenn Sie sich vorher in unserem Katalog oder auch im Internet etwas ausgesucht haben, etwas bestellen … haben Sie denn schon mal vorher etwas bei uns bestellt?“, fragte er dann noch idiotischerweise hinterher …
„Wie? Nein, also, nein … ich meine, hab ich nicht, … dieses ist das erste Mal.“
„Gut“, sagte Max, räusperte sich und schielte nach der Uhr. „Haben Sie sich denn schon etwas ausgesucht?“
„Ausgesucht?“
„Ja, ausgesucht“, Max verdrehte die Augen. Die große Uhr, die in der Mitte des Raumes an einem Pfeiler hing, zeigte 19:56 Uhr an. Gleich geschafft, dachte Max.. „In unserem neuen Katalog ist bestimmt genau das Richtige für Sie dabei!“
„Das Richtige? … was soll das denn sein?“, fragte die Frauenstimme jetzt und hörte sich noch leiser und trauriger an.
„Tja“, machte Max und konnte sich nicht verkneifen zu antworten: „Wenn nicht schon Heiligabend wäre, würde ich sagen, was Schönes zu Weihnachten!“
„Weihnachten?“, schrie da die Stimme erschrocken auf.
„Ja, Weihnachten. Sie wissen schon: O Tannenbaum! Jingle Bells! Ihr Kinderlein, kommet! Gedöns, tammtamm …“ Mit der ist eh kein Schnitt zu machen, also was soll’s, dachte sich Max und grinste selbstgefällig.
„Junger Mann“, kam da eine ganz verändert klingende, aber noch genauso traurige und raue Stimme aus dem Headset. „Sprechen Sie nicht von Weihnachten, haben Sie verstanden!“, fuhr sie Max an, sodass ihm sein selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht rutschte.
„Schon gut, schon gut“, versuchte Max die Frau zu beruhigen, „aber wenn ich mich recht erinnere, haben Sie angerufen!“ Dabei schaute er über die Trennwände, die ihn umgaben: Wo war nur die Vorgesetzte, wenn man sie brauchte, um das Gespräch, auch ohne Abschluss, abbrechen zu dürfen? – Ach ja, vor einer Dreiviertelstunde nach Hause gegangen. Mist!
„Ja, ich weiß“, sagte die Frauenstimme wieder ganz kleinlaut und leise. „Sie haben Recht … es ist nur weil, an Weihnachten …“
Sie stockte und Max konnte deutlich hören, dass sie jetzt weinte. – Verdammt, auch das noch! Er seufzte und so sehr er sich auch sicher war, dass er seine nächste Frage ganz fürchterlich bereuen würde, überwand er sich doch: „Was ist denn an Weihnachten?“ –
Die Frau am anderen Ende der Leitung schniefte und seufzte … dann – nach einer gefühlten Ewigkeit – begann sie zu sprechen:
„… noch ein …, noch ein Weihnachten allein, das schaffe ich nicht, … das überlebe ich nicht!“
Fortsetzung folgt am 17.12.2019…
