Es war Heiligabend. Die drei Freunde saßen in der kleinen Küche ihrer WG im 7. Stock des Wohnsilos. Weihnachten, und darauf waren alle drei stolz, wurde bei ihnen nicht gefeiert …
„Hey, was ist jetzt los?!?“, Tommi hätte beinahe seine Bierflasche fallen gelassen.
Ben und Leon starrten wortlos in die plötzliche Dunkelheit.
„Stromausfall!“, feixte Ben dann. „Das war’s dann wohl mit Weihnachten! Selbst schuld …“
„Quatsch, ist bestimmt nur kurz“, gab Tommi zurück.
„Guck’ doch mal, ob bei Nachbars noch Licht brennt!“
„Am Ende der Straße brennt noch ein Licht …“, fiel Tommi dazu ein.
„Nein, alles dunkel. Bei allen Nachbarn“, meldete Leon vom Fenster.
„Oh, Mann“, seufzte Tommi und nahm noch einen Schluck.
Es war Heiligabend. Die drei Freunde saßen in der kleinen Küche ihrer WG im 7. Stock des Wohnsilos, in dem sie lebten. Weihnachten, und darauf waren alle drei stolz, wurde bei ihnen nicht gefeiert. Ihre weihnachtliche Stimmung erschöpfte sich in dem – inzwischen fast leeren – Glühwein-Topf in der Mitte des Tischs, der umgeben von leeren Bierflaschen war. Kerzen oder Dekoration besaßen sie aus Prinzip nicht. Vielmehr machten sie sich über die von ihrem Küchenfenster gut einzusehenden übrigen Haushalte lustig, die sich ab Ende November regelmäßig einen Wettstreit lieferten, wer denn dieses Jahr die grellste und kitschigste Beleuchtung aufhängen würde. Die drei Freunde versteckten sich außerdem jedes Jahr vor ihren Familien, die sie gern schon an Heiligabend zu Hause empfangen hätten. Meist zögerten sie ihren Pflichtbesuch bei den Eltern bis zum 2. Feiertag hinaus.
Jetzt standen alle drei am Fenster und schauten in die sie umgebende Finsternis und die schwarzen Fenster der Nachbarschaft.
„Guck sie dir an. Keine Beleuchtung, kein Fernseher, kein Weihnachten … nix war’s!“
„Scheint echt ’n totaler Blackout zu sein“, berichtete Ben mit einem Blick auf sein Handy-Display. „Meine Schwester schreibt gerade, bei ihnen, oben auf’m Berg ist auch alles dunkel. Lokalzeitung meldet auch, Stromausfall in der ganzen Stadt, wohl Störung in irgendeinem Kohle-Kraftwerk. Tausende sitzen im Dunkeln.“
Tommi hatte sich ein neues Bier geholt, rülpste und stellte sich dann wieder zu Ben und Leon ans Fenster. „Das sollte man sich vielleicht mal ansehen.“
„Ja, klar!“, gab Leon zurück, ohne ihn anzusehen.
„Meinst du das ernst?“, starrte Ben ihn entgeistert an.
„Joa, wieso nicht? Wir gehen los, schauen uns ein bisschen im Viertel um, nehmen Musik und Bierchen mit … und wenn wir keine Lust mehr haben, kommen wir halt wieder zurück.“
„Ach, ich weiß nicht. Das ist doch langweilig! Wollen wir nicht einfach hierbleiben?“, fragte Leon. „Ben, sag Du doch mal …“
„Hm“, machte Ben, „ich könnte es mir auch ganz witzig vorstellen, ich meine, über die Weihnachts-Begeisterten in ihren dunklen Buden lustig machen, können wir uns auch, wenn wir unterwegs sind.“
„Und Licht? Wir können doch nicht mit unseren Handy-Lampen durch die Gegend latschen. Außerdem brauchen wir die Akku-Power vielleicht noch ziemlich lange. Wer weiß, wann der Strom wiederkommt …“
„Da fällt mir was ein, warte mal!“, Tommi stellte sein Bier ab und ging in den an die Küche angrenzenden Abstellraum. Die anderen beiden hörten ihn darin kramen.
„Was suchst Du da?“
„Kerzen!“, kam es zurück.
„Kann ich dir helfen: Wir haben keine!“, gab Leon zurück.
„… aber dafür Teelichthalter, um Lampen zu bauen“, berichtete Tommi stolz. Er präsentierte Leon und Ben drei große, leere Marmeladengläser. „Gut, dass hier niemand jemals was wegschmeißt!“
„Äh, Tommi …“, begann Ben.
„Was ist? Die können wir doch als Lampen benutzen. Unten kommen 2–3 Teelichter rein, dann machen wir ein paar Löcher in die Deckel und fertig ist das Gartenhäuschen.“
„Tja, aber wir haben nach wie vor keine Kerzen … und auch keine Teelichter, Du Genie!“
„Kein Problem“, wischte Tommi den Einwand weg, „die Nachbarn dafür bestimmt. Sind doch alle so weihnachts-verrückt.“
Er stach in jeden Marmeladenglas-Deckel ein paar Löcher und öffnete sich ein neues Bier. „So, Jungs: Bier aufnehmen, Musikbox, Handys, die neuen Lampen … und dann los!“
*
„Ich werde nicht klopfen“, weigerte sich Leon.
Sie standen vor der Tür von Familie Grujic im 5. Stock (bei den Naumanns, die in der Wohnung direkt unter ihrer wohnten, hatten sie sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht getraut zu klopfen).
„Ach, jetzt komm … Du bist bestimmt der Vorzeigbarste von uns“, ärgerte ihn Ben und nahm einen Schluck von seinem Bier.
„Sonst klopfe ich“, erbot sich Tommi während er sich an der Wand abstützte.
„Na, gut. Ich mach’s.“ Leon klopfte. „Am Heiligabend von drei Angetrunkenen mit ’ner Schnapsidee heimgesucht, wer kann da schon nein sagen …“, sagte er zähneknirschend.
Die Tür wurde geöffnet und ein mittelgroßer Mann in beigefarbener Jogginghose und schwarzem Unterhemd öffnete. Er hielt eine Taschenlampe in der Hand, mit der er sie blendete.
„Was wollt ihr?“, fragte er misstrauisch statt einer Begrüßung.
„F-frohe Weihnachten, Herr …“
„Grujic“, flüsterte es von weiter hinten.
„Ja, genau, Herr … können wir, ich meine, wir haben hier selbstgebastelte Lampen und wir hatten uns gefragt …“
„Verkauft ihr was? – Wir kaufen nämlich nichts!“
„Nein, nein … tatsächlich hatten wir uns gefragt, ob Sie vielleicht, weil wir doch nur die Lampen … also, können Sie uns mit Teelichtern aushelfen?“
„Tee-, was?“
„Teelichter, kleine Lichter, ähh, flache Kerzen für ins Glas zu stellen …“
Herr Grujic musterte sie halb mitleidig, halb angewidert. „Ich hole meine Frau.“
Die Tür schloss er wieder.
„Na, super! Läuft doch“, war Tommi zufrieden.
„Ja, läuft super!“, gab Leon ironisch zurück. „Die kommt eh nicht, die Frau …“
„Grujic?“
„Ja.“
„… wollen wir weiter?“
Da ging die Tür wieder auf. Eine kleine, dunkelhaarige Frau mit grauem, müdem Gesicht hinter der Kerze, die sie in der Hand hielt, reichte ihnen eine halbvolle Plastiktüte mit ungefähr 20 Teelichtern darin ins dunkle Treppenhaus.
„Hier, den Rest brauchen wir, wegen dem Stromausfall.“
„Ja, das ist schon ärgerlich. Vielen Dank auf jeden Fall!“, und dann nach einer peinlichen Pause, „… wir, wir gehen auf Weihnachts-Wanderung … wollen Sie vielleicht mitgehen?“
„Die Kleine muss schlafen“, war die Antwort. Ein Kreischen aus der Wohnung unterstrich dies.
„Ja, dann frohe Weihnachten … und passen sie gut auf das Baby auf!“
„Mache ich.“ Die Tür schloss sich, aber ein mildes Lächeln sahen die drei noch. Dann standen sie wieder in der Dunkelheit.
„Was war das denn für ein Gesülze?“, flüsterte Ben. „Erst die Zähne nicht auseinanderkriegen und dann willste die schon auf unsere Wanderung einladen?“
„Wieso? Wäre doch lustig, wenn sich noch jemand anschließen würde … muss doch keiner an Weihnachten allein im Dunkeln hocken“, gab Leon achselzuckend zurück. „Finde ich auch“, sagte Tommi und leuchtete mit seiner Handy-Lampe in die Tüte mit den Teelichtern. „So, kommt mal ran hier! In jedes Glas müssten eigentlich zwei oder drei Lichter nebeneinander passen. Hier, Streichhölzer habe ich auch …“
Fortsetzung folgt
